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Vergangene Woche haben Österreich, Finnland, Deutschland und die Niederlande gegen die Ausgabe von “Corona-Bonds” und damit gegen jene gemeinsame, solidarische europäische Antwort auf die Pandemie gestimmt, die von neun anderen Eurozone-Staaten vorgeschlagen wurde. Das nächste Treffen der Eurozonen-Finanzminister fand am 7. April statt. Fünf junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler argumentieren, dass ihre Staaten sich dringend an den gemeinsamen Maßnahmen beteiligen sollten. Ich teile diesen Aufruf von

Henriikka Hannula, Finnische Staatsbürgerin, Doktorandin an der Universität Wien
Ofra Klein, niederländische Staatsbürgerin, Doktorandin am European University Institute
David Kretz, österreichischer Staatsbürger, Doktorand an der University of Chicago
Max Lobeck, deutscher Staatsbürger, Doktorand an der Paris School of Economics
Paulus Wagner, österreichischer Staatsbürger, Doktorand an Sciences Po Paris

Europa ist mit einer Gesundheitskrise völlig neuen Ausmaßes konfrontiert. Eine ebensolche Wirtschaftskrise wird folgen, wenn wir nicht sofort umfassend reagieren. Die europäischen Staaten sind in unterschiedlichem Maße zu solchem Handeln in der Lage: einige jener Länder, die am stärksten von der Corona-Pandemie getroffen wurden, befinden sich zusätzlich in einer wirtschaftlich schwächeren Position als andere. Unsere Volkswirtschaften sind jedoch stark vernetzt. Wenn eine europäische Volkswirtschaft fällt, nehmen auch alle anderen schweren Schaden.

Dies ist eine Weggabelung für unseren Kontinent. Es ist eine historische Chance, handfeste Solidarität zwischen EU-Staaten zu instituieren, das europäische Projekt auf einer breiten Basis zu legitimieren und ihm neues Leben einzuhauchen. Nationaler wirtschaftlicher Egoismus verrät die Grundideen der europäischen Staatengemeinschaft, wird die europäische Desintegration vorantreiben und könnte langfristig zu ihrem Kollaps führen. Welche kurzfristigen Vorteile ersterer auch einzelnen Staaten bringen mag – sie würden überwogen durch die Verluste, die letzterer brächte. Die gemeinsamen wirtschaftlichen Maßnahmen müssen daher umfangreich sein, solidarisch, und rasch ergriffen werden.

Warum die bisherigen Maßnahmen zu wenig sind 

Erste Schritte in die richtige Richtung wurden getan. Die EU hat begonnen, Mitgliedstaaten bei der Beschaffung von medizinischem Material zu unterstützen und die Heimkehr von BürgerInnen in ihre Länder zu koordinieren. Die EZB hat Initiativen gesetzt, um Anleihenmärkte zu stabilisieren. Der Vorschlag von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für ein europäisches Kurzarbeitsschema (SURE) ist zu unterstützen.

Diese Maßnahmen reichen jedoch bei weitem nicht aus. Jüngste Berechnungen des Internationalen Währungsfonds haben Experten zu der Einschätzung gebracht, dass wir unmittelbar vor der tiefsten globalen Rezession seit 1929 stehen. Mancher europäische Staat ist auf diese Herausforderung gut vorbereitet. Deutschland, zum Beispiel, hat ein nationales Hilfsprogramm im Wert von € 750 Milliarden angekündigt. Italien, im Gegensatz, ist mit Schwierigkeiten völlig anderer Natur konfrontiert. Noch von der Finanzkrise 2008 geschwächt, muss es unvergleichbar höhere Zinsraten auf neue Staatsverschuldung bezahlen und war deshalb bisher lediglich in der Lage ein Wirtschaftsprogramm in der Höhe von € 25 Milliarden zu finanzieren.

Bedenkt man die enge Verwobenheit unserer Länder, so gleicht dies einem kollektiven Drahtseilakt, buchstäblich ohne Sicherheitsnetz: der Fall egal welcher nationaler Ökonomie bringt unausweichlich eine weitere Euro-Krise oder Schlimmeres.

Was wir jetzt brauchen

Wir brauchen eine umfangreiche, gemeinsame und solidarische europäische Antwort auf das, was für viele unserer Länder die schwerste Krise seit Ende des Zweiten Weltkrieges ist. Ein “Weiter So” kann es nicht geben. Wir brauchen konkrete Maßnahmen der Schadensbegrenzung, bevor es zu spät ist, ebenso wie einen langfristigen Wiederaufbauplan. Es stehen mehrere Varianten solidarischer europäischer Maßnahmen zur Verfügung; vor allem aber die einmalige gemeinsame Ausgabe von Staatsanleihen durch alle 19 Eurozone-Staaten mit dem Ziel der Finanzierung von Krisenbekämpfungsmaßnahmen – sogenannte “Corona-Bonds”.

Welches exakte Instrument wir auch wählen, zwei Punkte sind essentiell: Erstens muss das europäische Maßnahmenpaket umfangreich genug sein, um der Herausforderung gewachsen zu sein. Vergangene Woche hat ein Konsortium renommierter europäischer Ökonominnen und Ökonomen festgestellt, dass ein europäisches Anleiheprogramm mindestens ein Volumen von €1000 Milliarden haben muss, um das Risiko einer weiteren Eurokrise effektiv zu reduzieren. Zweitens muss das Maßnahmenpaket den europäische Zusammenhalt nachhaltig stärken. “Spenden” von “reicheren” an “ärmere” Staaten, wie vergangene Woche von einem Politiker vorgeschlagen, würden dem nicht gerecht werden. Ebenso würden Kredite, die für antragstellende Länder mit der Bedingung von Fiskalreformen kämen, die Natur des Problems verkennen.

Die österreichische, finnische, deutsche, und niederländische Regierung haben vergangene Woche Schlagzeilen gemacht, als sie umfangreiche und solidarische Maßnahmen verhinderten, die von neun anderen Eurozone-Staaten vorgeschlagen wurden. Dieses Veto steht für eine kurzsichtige, egoistische und naive Sicht auf den Stand der Dinge, die den historisch einmaligen Entwicklungen der letzten Wochen nicht gerecht wird. Die Entscheidungen, die wir in den nächsten Tagen und Wochen treffen sind wegweisend. Sie werden uns selber, unseren europäischen NachbarInnen und der Welt zeigen ob wir zur richtigen Zeit gemeinschaftlich und solidarisch handeln können, oder ob wir dem kurzfristigen nationalen Eigennutz Vorrang geben und dadurch die europäische Einheit und den Wohlstand der Bürgerinnen und Bürger aller europäischen Länder auf das Spiel setzen.

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