Die EU-Kommission widmete sich der Frage: „Soll es bald nur noch eine Sommerzeit geben?“ und fragte vom 4 Juli bis zum 16 August 2018 in der ganzen EU „Wenn Sie die Zeitumstellung lieber beibehalten/abschaffen möchten, wie wichtig ist dies für Sie?“ auf einer Skala von 1-10. Wenn nun berichtet wird, dass 80% der Teilnehmer sich gegen eine Winter- und Sommerzeit aussprechen, dann ist das der erste spannende Punkt.
Der zweite ist die Verhältnismäßigkeit. Ich selber finde es richtig und ausgesprochen super, dass die Kommission die Bürger befragt. Was nun dabei aber herauskommt ist demokratisch zu hinterfragen. Die EU hat 512,6 Millionen Einwohner. 4,6 Millionen nahmen an der Umfrage teil. Darunter laut Presseberichten gut 3 Millionen Stimmen aus Deutschland.
Der CDU-Europaabgeordnete Peter Liese forderte dann auch direkt vor dem Hintergrund der Umfrage eine schnelle Abschaffung der Zeitumstellung. “Wenn das Ergebnis einer Konsultation so offensichtlich ist, dürfen die europäischen Gremien es nicht ignorieren“, sagte Liese der “Westfalenpost”.
Nun, klingt auch irgendwie richtig: 80% dagegen, also abschaffen! Nur: 4,6 Millionen sind 0,9% der europäischen Gesamtbevölkerung. Man stelle ich eine Versammlung von hundert Leuten vor und einer will etwas abschaffen. Die anderen haben von der Umfrage dazu entweder nichts mitbekommen oder sehen andere Themen als wichtiger an. Diese 100 stehen aber für 512,6 Millionen Menschen – und diese eine Person steht fast nur für Deutschland.
So sehr ich also solche Meinungsbilder begrüße und fordere, so sehr sehe ich hier eine Symbolpolitik der EU-Kommission. Die viel wichtigeren Themen kann sie aktuell nicht anpacken. Eine EU-Verordnung zur Abschaffung der Winterzeit ist da einfach und schnell für das Volk auf den Weg gebracht. Doch die wirklich wichtigen Themen bleiben auf der Strecke.
Ja, nur Sommerzeit wollen viele – auch ich – aber widmen wir und weiter den unwichtigeren Dingen? Ärgern sich nicht viele über “die Bevormundung aus Brüssel” um nun selber via Umfrage selber zu diktieren? Was sagen wohl Letten, Dänen und Finnen? Was Zyprer und Malteser?
Einige Mitgliedstaaten hatten die Frage der Zeitumstellung kürzlich in Schreiben an die EU-Kommission angesprochen. So hat Finnland die Abschaffung der halbjährlichen Zeitumstellung gefordert, während Litauen eine Überprüfung der derzeitigen Regelung verlangte, um regionalen und geografischen Unterschieden Rechnung zu tragen.
Das Europäische Parlament verabschiedete im Februar 2018 einen Entschluss, in der die Kommission aufgefordert wurde, eine gründliche Bewertung der Richtlinie vorzunehmen und gegebenenfalls einen Vorschlag zur Überarbeitung vorzulegen. Gleichzeitig wurde in dem Entschluss, „dass auch nach der Abschaffung der halbjährlichen Zeitumstellung unbedingt eine einheitliche EU-Zeitregelung beibehalten werden muss“.
Nach den bisherigen Erkenntnissen sind gemeinsame Regeln in diesem Bereich für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes von entscheidender Bedeutung. Diese Linie wird auch vom Europäischen Parlament unterstützt, das in seiner Entschließung die Beibehaltung einer einheitlichen EU-Zeitregelung als unbedingt erforderlich bezeichnete.
Ergo: So einfach kann man die Winterzeit wohl doch nicht abschaffen. Das die EU-Kommission die Bürgerinnen und Bürger mehr befragt und einbindet ist das positive an dieser Umfrage, ebenso dass immer mehr in Europa mitmachen – und doch nicht mal 1% der Europäer hat mitgemacht.
Das ist die Kernbotschaft im eigentlichen Sinne: Mehr Informationen, kurz und knackig, in einfacher Sprache fehlen weiterhin. Festzuhalten ist auch: Statt auf diese Möglichkeit einzugehen haben viele Menschen die Kampagne ignoriert. Wie kann man mehr Engagement von der Politik verlangen, wenn man die ausgestreckte Hand nicht annehmen will?
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